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PDF-DownloadHeft 16 (2027): Schule und Unterricht als Orte fachlicher und gesellschaftlicher Kontroversen
Einreichungsfrist: 01.05.2026
Die ZISU veröffentlicht empirische Beiträge aus den Erziehungswissenschaften und Fachdidaktiken und versteht sich als Forum der interpretativen Schul- und Unterrichtsforschung. Sie richtet ihre Aufmerksamkeit auf interdisziplinäre Forschung zu Schule und Unterricht. Jedes Heft beinhaltet einen Themenschwerpunkt und einen allgemeinen Teil. Die Wahrscheinlichkeit einer Annahme von Beiträgen ist für beide Teile gleich hoch, so dass es nicht sinnvoll ist, einen Beitrag an den Schwerpunkt des Heftes anzupassen, wenn dieses Thema nicht ohnehin substantieller Bestandteil der Forschungsfrage ist. Besonderen Wert legt die Zeitschrift auf die methodologische und methodische Qualität der Beiträge, stellt diese doch eine wichtige Voraussetzung der Entwicklung der sinnverstehenden Schul- und Unterrichtsforschung dar. Die Auswahl der Beiträge beruht auf einem zweistufigen Verfahren: In einem ersten Schritt erfolgt eine kriteriengeleitete Vorauswahl der Einreichungen im Kreis der Heft-Herausgeber:innen, in der geprüft wird, ob die eingereichten Beiträge den grundsätzlichen Vorgaben der Zeitschrift entsprechen. Im zweiten Schritt werden die im ersten Schritt angenommenen Beiträge in ein doppelt blindes Peer Review gegeben.
Für die Ausgabe 16/2027 der ZISU mit dem Thementeil
„Schule und Unterricht als Orte fachlicher und gesellschaftlicher Kontroversen“ erbitten wir Manuskripte zu Thementeil oder allgemeinem Teil bis zum
01. Mai 2026 als anonymisiertes Word-Dokument im Umfang von max. 45.000 Zeichen (inkl. Leerzeichen) an
Thorsten Merl.
Nähere Informationen zum ThementeilIn Bezug auf schulisches Lernen und Fachunterricht gilt das Prinzip der Kontroversität weithin als zentrales Leitideal. Es verpflichtet Lehrer:innen darauf, wissenschaftlich und politisch strittige Fragen auch im Unterricht als kontrovers zu behandeln (Beutelsbacher Konsens). Zudem soll es fachliche Authentizität stiften, indem es disziplinäre, multiperspektivische Debatten in die schulische Auseinandersetzung überführt und so einen unmittelbaren Bezug zu wissenschaftlichen Diskursen herstellt. Darüber hinaus werden ihm zentrale didaktische und demokratiepädagogische Funktionen zugeschrieben: So wird angenommen, dass Urteils- und Diskursfähigkeiten nur erworben werden können, wenn Schüler:innen mit unterschiedlichen Positionen konfrontiert werden und herausgefordert sind, eigene Standpunkte zu entwickeln und diese im Diskurs zu verteidigen oder auch argumentativ in einen Konsens zu überführen. Dieses Ideal findet in den verschiedenen Fachdidaktiken in unterschiedlicher Diktion Ausdruck, wie im Folgenden anhand vierer Beispiele skizziert werden soll:
• Physikdidaktik: In der Physikdidaktik wird Kontroversität als zentrales Merkmal naturwissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung verstanden. Physikalisches Wissen soll nicht als abgeschlossenes Faktenwissen, sondern als Ergebnis diskursiver Aushandlungsprozesse vermittelt werden – etwa durch die Thematisierung historischer und aktueller wissenschaftlicher Kontroversen (bspw. der Frage, ob Masse in der Relativitätstheorie von der Geschwindigkeit abhängt oder nicht; Heine 2022). So soll ein reflexiver Physikunterricht dazu beitragen, Wissenschaft als offenen, argumentativen und gesellschaftlich eingebetteten Prozess erfahrbar zu machen.
• Religionsdidaktik: Das Kontroversitätsgebot der evangelischen und katholischen Religionsdidaktik gründet auf der „prinzipielle[n] Kontroversität des religiös weltanschaulichen Pluralismus der modernen Gesellschaft und deren freiheitlich-demokratische[r] Grundordnung“ (Koblenzer Konsent 2025). Daraus ergeben sich Fragen danach, wie Religionsunterricht – unabhängig von Konfession oder Religion – weltanschauliche Kontroversen didaktisiert, mit Positionen umgeht, die sich jenseits der freiheitlich-demokratischen Grundordnung bewegen, und in welchem Maß er sich insgesamt als Ort gesellschaftlicher Kontroversität versteht.
• Deutschdidaktik: Die Deutschdidaktik richtet den Blick auf die sprachliche Bedingtheit von Kontroversität; sie untersucht Sprachsystem, -gebrauch und -normen (Kilian 2009). Sie zielt zumeist nicht auf die Vereindeutigung, sondern auf das Erkennen von Mehrdeutigkeiten und Unabschließbarkeiten von Sinnbildungsprozessen (Spinner 2006). Verfahren des Perspektivwechsels unterstützen dabei, kontroverse Positionen probeweise einzunehmen und eigene Wahrnehmungsweisen in der sprachlichen Differenzerfahrung zu irritieren.
• Politikdidaktik: In der Politikdidaktik wird das Kontroversitätsgebot als zentrales Prinzip verstanden. Da politische Komplexität und begrenzte Unterrichtszeit keine vollständige Repräsentation aller Positionen erlauben, werden Fragen von angemessener didaktischer Reduktion diskutiert. Zugleich wird betont, dass Kontroversität nicht beliebig ist, sondern durch Wissenschaftsorientierung und die Werte der freiheitlich-demokratischen Grundordnung begrenzt wird. Aktuelle Ansätze betonen, dass Kontroversität nicht nur normativ – durch Demokratie- und Menschenwürdeprinzipien – gerahmt ist, sondern auch epistemisch. Damit wird Kontroversität politikdidaktisch als pädagogische, professionsethische und erkenntnistheoretische Praxis verstanden, in der Lehrkräfte zwischen Offenheit, Begründung und Widerspruch verantwortlich abwägen (Frech/Geyer/Oberle 2023).
Trotz dieser zentralen, fächerübergreifenden Bezugnahmen auf das Kontroversitätsprinzip lässt sich gegenwärtig auch eine „Kontroverse um Kontroversitätsgebote“ ausmachen (Drerup 2021). Zum einen instrumentalisieren rechts-autoritäre Akteur:innen den Beutelsbacher Konsens, insbesondere seine Gebote der Kontroversität und des Überwältigungsverbots, indem sie diese als vermeintliches „Neutralitätsgebot“ auslegen. Dadurch wird die normative Wertebindung des Konsenses zugunsten eines Objektivitäts- und Unparteilichkeitsideals entkernt und die demokratiepädagogische Intention der Gebote in eine Rhetorik scheinbarer Ausgewogenheit verkehrt, die wertgebundene Positionierung delegitimiert. Zum anderen wird erziehungswissenschaftlich wie auch fachdidaktisch darüber diskutiert, welche Themen überhaupt nach welchen Kriterien als kontrovers bewertet werden können und welche dezidiert nicht als kontrovers verhandelt werden sollten. Kontroversität lässt sich aber nicht allein als Frage inhaltlicher Auswahl, sondern auch als pädagogische, soziale und organisationale Praxis in den Blick nehmen. Kontroversität zeigt sich dann in den Aushandlungsformen, Beziehungsdynamiken und institutionellen Routinen, durch die Schule und Unterricht selbst zu Orten gesellschaftlicher Konflikte und ihrer Bearbeitung werden.
Vor diesem Hintergrund richtet das Heft den Blick darauf, wie und in welcher Weise Schule und Unterricht zu Orten fachlicher und gesellschaftlicher Kontroversen (gemacht) werden. Mögliche Leitfragen sind:
• Fachliches Lernen: Wie werden (fachliche) Kontroversen im Unterricht thematisch? Wie wird dies interaktiv vollzogen? In welchem Verhältnis stehen diese Vollzugsformen von Unterricht zur etablierten Unterrichtsgrammatik (IRE-Schema)? Wie verschränken sich fachliche und ethische Kontroversen in schulischen Interaktionen, und welche Praktiken entwickeln Lehrpersonen und Schüler:innen, um sie zu bearbeiten?
• Sozial-interaktive Dynamiken: Welche Risiken, Spannungen und Disruptionen ergeben sich in der sozialen Interaktion beim Austragen von Kontroversen und wie gehen Akteur:innen damit um? Unter welchen Bedingungen werden Kontroversen im schulischen Alltag vereindeutigt, übergangen oder in Nichtangriffspakten neutralisiert – und welche Folgen hat dies für Lernen, Partizipation und Professionalität?
• Demokratiebildung: Welche Rolle spielen Kontroversen als Vollzugsform demokratischer Aushandlungs- und Partizipationsprozesse zwischen Lehrer:innen und Schüler:innen, zwischen Schüler:innen und zwischen Lehrer:innen? Wie wird die aktuelle Umdeutung der Gebote der Kontroversität und des Überwältigungsverbots im Beutelsbacher Konsens durch rechtsautoritäre Akteur:innen wiederum von schulischen Akteur:innen gedeutet?
• Professionelles Handeln und Schule als Organisation: Wie werden Kontroversen in Kollegien oder im organisationalen Gefüge der Schule bearbeitet, und welche (impliziten) Normen treten dabei hervor? Welche kollektivierten Umgangsformen entstehen?
• Curricula- und Schulbuchanalysen: Wie entstehen ‚kontroverse Positionen’, die Eingang in einen fachlichen Kanon und in fachliche Curricula finden? Welche (auch zu problematisierenden) Effekte sind mit dieser Kontroversifizierung von Fachlichkeit verbunden? Wie wird Kontroversität in Schulbüchern hervorgebracht?
• Lehrer:innen-Bildung: Welche Thematisierungs- und Aushandlungsweisen von Kontroversität finden sich in Praktiken der Lehrer:innenbildung? Welche (biographischen) Deutungen bringen (angehende) Lehrer:innen zu kontroversen Themen in Bezug auf ihre pädagogische Verantwortung ein?
Literatur- Drerup, Johannes (2021): Demokratieerziehung und die Kontroverse über Kontroversitätsgebote. In: Zeitschrift für Pädagogik 67 (4), S. 480–496.
- Evangelische Kirche in Deutschland (2025) (Hg.): Koblenzer Konsent. Zur evangelischen und katholischen Religionsdidaktik:
Theologische Positionalität im Kontext religiöser Bildung (
URL).
- Frech, Siegfried/Geyer, Robby/Oberle, Monika (2023): Einführung Kontroversität ohne Grenzen? Meinungsvielfalt, Pluralismusprinzip und Dissenskultur in der politischen Bildung. In: dies. (Hg.) Kontroversität in der politischen Bildung. Didaktische Reihe Beutelsbacher Gespräche. Wochenschau: 7-23.
- Heine, Eric (2022): Wissenschaftliche Kontroversen im Physikunterricht. Explorationsstudie zum Umgang von Physiklehrkräften und Physiklehramtsstudierenden mit einer wissenschaftlichen Kontroverse am Beispiel der Masse in der Speziellen Relativitätstheorie. Berlin: Logos Verlag.
- Kilian, Jörg (2009): Didaktische Konzepte zur Sprachkritik im Unterricht des Deutschen als Erstsprache. In: Aptum 5/2, 106–129.
- Spinner, Kaspar H. (2006): Literarisches Lernen. In: Praxis Deutsch, Heft 200, S. 6-16.
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Ihren fristgerecht eingereichten Beitrag erhalten Sie bis zum 15. September 2026 mit einer inhaltlichen Rückmeldung zurück. Für den Fall der Annahmeempfehlung haben Sie für die darin ggf. vorgeschlagenen Überarbeitungen sechs Wochen Zeit. Mit der Korrektur der Druckfahnen zur Erteilung der Imprimatur ist im Februar 2027, mit dem Erscheinungstermin des Hefts im Frühjahr 2027 zu rechnen.
Für die Heft-Herausgeber:innen: Ilka Hameister, Nele Kuhlmann, Thorsten Merl, Hanna Roose